#12: Flucht

Was bisher geschah: Retep und Velted, zwei Agenten der Erde, bekommen den Auftrag einen illegalen Erdbeerendealer namens Erdbeerfan23 aufzuspüren. Er befindet sich auf einem weit entfernten Planeten und darum nehmen die beiden ein milchgasbetriebenes Raumschiff und begeben sich auf die Reise. Als sie schließlich auf dem Mond landen wollen, spinnt die Technik und das Schiff rast in den felsigen Boden. Als daraufhin Velted unerwartet verschwindet, macht Retep sich auf die Suche nach ihm. Er stößt auf eine Höhle, in der er von einem geigenspielenden Typen angegriffen wird. Er wacht zusammen mit Velted bei einem Mann auf, der ihnen erklärt, dass dieser Geigenspieler früher sein Kollege war und heute mit einem Gift andere in den Wahnsinn treibt.

„So“, begann der Mann erneut „ich werde mich dann mal für ein oder zwei Stunden schlafen legen.“ Er warf Velted vom Sofa runter, der kurz erschrocken aufschrie, und schwebte rückwärts auf die Kissen. Augenblicklich war er eingeschlafen. Für wenige Sekunden war es still. Erst Velted unterbrach empört das Schweigen: „Was ist das eigentlich für ein Typ? Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich eben erschrocken habe, als ich aufwachte und so ein Mann stand vor mir!“ „Ist ja nicht meine Schuld. Meinst du, man kann dem vertrauen?“ Velted sah den im Schlaf grinsenden Mann an. „Keine Ahnung, jedenfalls bringt er uns nicht um.“ „Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass wir keine Atmungshelme tragen? Irgendwo muss hier ein Gerät stehen, dass Sauerstoff herstellen kann!“ „Ist ja sowieso nicht übel eingerichtet. Mit PVC-Boden rechnet niemand in einer Höhle. Schon gar nicht auf dem Mond.“ Der Mann öffnete kurz die Augen und sagte: „Früher hatte ich sogar Laminat!“ Er schlief sofort wieder ein. „Was glaubst du, wie wir hier wieder rauskommen?“, fragte Velted. Retep sah sich um. Seltsamerweise hatte er noch keine Tür, oder einen anderen Ausgang gesehen. Sein Blick fiel auf ein kleines Loch, etwa einen Meter tief. „Da geht’s vermutlich raus. Ob man da dem Geigenspieler begegnet? Wahrscheinlich schon.“ Velted nickte. „Meinst du, wir dürfen was davon essen?“ Er zeigte auf circa zwei Dutzend große Kisten, auf denen ‚Lebensmittel’ stand. Retep sah kurz rüber, und ging auf eine Kiste zu, machte sie auf und sagte ernüchternd: „Leer!“ Er öffnete eine weitere. „Schinken, Brot, Käse und Wein!“ Velted grinste erleichtert und kam nach. Er holte ein Käserad heraus, dem er mit einem Messer, das gerade in seiner Reichweite lag ein Stück herausschnitt. Retep hingegen nahm sich eine der vier Flaschen Wein, zog den Korken, und setzte an. Beinahe die halbe Flasche hatte er getrunken, als er sie wieder abstellte. „So, und was kommt als nächstes?“, sprach er feierlich und aß auch schon ein belegtes Brötchen. Und noch ein weiteres. Velted sah ihn mit großen Augen an; er selbst hatte gerade mal ein halbes Stückchen Käse gegessen. „Retep, es ist gut jetzt!“ „Ich hab’ aber Hunger…“, gab Retep grinsend als Antwort.

Eine halbe Stunde später waren beide zum ersten Mal seit langem wieder satt und Retep betrunken. Der Mann wachte später auf. Er streckte sich aus, gähnte, ging auf die beiden zu und fragte: „Wie gefällt euch der erste Tag?“ Velted neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Wie meinen Sie das?“ Der Mann grinste wie immer auf diese seltsame Art und Weise. „Na ja, Sie werden schließlich den Rest Ihres Lebens hier verbringen müssen.“ Retep schwebte im Schneidersitz um die beiden herum, freute sich über den Spaßfaktor der Schwerelosigkeit und lachte hicksend. Velted stieß Retep genervt zur Seite und sagte: „Wollen Sie mich verarschen? Warum gehen wir nicht einfach durch dieses Loch hier?“ „Da draußen wartet Otto auf jeden Wanderer, egal von welcher Richtung er zu ihm kommt. Ich glaube nicht, dass wir jemals da durch kommen werden. Er wird uns mit seinen Spritzen betäuben, und wenn wir aufwachen und Glück haben, sind wir entweder hier, oder wir sitzen bei ihm festgebunden und hören uns seine Geigenkünste an. Bis wir verhungern natürlich! Sie müssen zugeben, dass es hier also viel lustiger sein könnte, oder?“ Der Mann grinste wieder so seltsam. Velted nahm ihn am Kragen und zog ihn zu sich hin. „Sie werden mir jetzt alles über den Teil der Höhle erzählen, in dem sich dieser ‚Otto’ versteckt, okay?“ „Was wollen Sie hören?“ „Erzählen Sie mir alles!“ „Na ja, es gibt dort einen Magneten, mit dem Otto Wanderer, die metallische Gegenstände bei sich tragen, am Boden hält. Er liegt kurz unter den Steinen, er ist nicht elektrisch…“ „Erzählen Sie mir von dem Magneten!“ Velted drückte den Mann gegen eine Felswand. „Okay, okay, bleiben Sie ruhig! Es gibt einen Schalter, mit dem man ihn runterfahren kann. Danach bleibt quasi nur noch der Boden oben, und die Höhle dort ist von dem Magnetfeld befreit. Otto hat das selbst gebaut. Es müsste eigentlich relativ einfach sein, wieder den Schacht hochzuklettern, wenn der Magnet nicht mehr da ist. Der Schalter ist direkt im Raum.“ „Und warum haben Sie das nicht gleich erzählt?“ „Ich wollte so eine Art apokalyptische Stimmung erzeugen.“, sagte der Mann schmunzelnd. Velted grinste ebenfalls ein wenig. „Und was machen wir mit Otto?“ „Wenn man ihm Geigengeräusche vorspielt, lässt er einen gehen. Ich habe für diese Zwecke einen Walkman“ Velted sah den Mann überrascht an. „Wenn Sie doch genau wissen, wie man hier rauskommt, warum haben Sie es dann nicht längst getan?“ „Ich habe seit ich hier festsitze mehr als zwanzig Leuten das Leben gerettet. Meinen Sie, auch nur einer hätte mich mitgenommen? Was bringt es mir zu wissen, wie man hier rauskommt, wenn ich kein Raumschiff habe?“ Velted überlegte kurz und sagte: „Okay, Sie können mit uns gehen, wenn Sie wollen.“ Der Mann strahlte. „Meinen Sie das ernst?“ „Stellen Sie sich das bitte nicht so einfach vor. Wir können nicht einfach nur nach Hause auf die Erde. Retep und ich haben einen Auftrag.“ Velted kam sich super wichtig vor, als er diese Worte aussprach. „Wie Sie wissen, sind Erdbeeren verboten worden.“ „Na sicher.“ „Wir jedenfalls beschäftigen uns mit Dealern, die im Internet zugegen sind. Wir stießen auf ein Blog, der Name ist mir gerade entfallen, jedenfalls wurde dort massiv mit Erdbeeren gehandelt. Wir bekamen also den Auftrag den Besitzer aufzuspüren. Er ist irgendwo, auf einem unbenannten Planeten. Der Name des Kerls ist Erdbeerfan23. Schon mal gehört?“ „Nein, ist mir nicht bekannt.“ „Dachte ich mir schon. Vermutlich nicht sein richtiger Name.“ „Und wo ist das Problem? Setzten Sie mich doch einfach auf irgendeinem Planeten ab. Sie werden doch sicher zwischenstoppen, oder?“ „Ja und nein. Wir wissen gar nicht, ob wir überhaupt mit unserem Schiff noch fliegen können. Es steckt im Boden“ „Ich habe Schaufeln“ „Sorry, aber das ist keine Erde, sondern Felsen“ „Sie haben nicht die Schaufeln gesehen, die ich benutze“ Der Mann lächelte. „Wir müssen auch noch zur Tanke. Ich glaube nicht, dass unser Treibstoff noch ausreicht um dorthin zu gelangen. Und zu Fuß ist es zu weit.“ „Also, wenn Sie mit ‚Treibstoff’ Milchgas meinen, dann sehen Sie mal, was in den Kisten noch so rumfährt!“ Der Mann sah Velted an und er starrte zufrieden zurück. Velted sah runter auf das Loch, dass alle in die Freiheit führen sollte. „Worauf warten wir dann noch?“ Er brauchte gar keine Antwort abzuwarten. Retep schwebte singend und sturzbetrunken an ihnen vorbei. „Na ja, ich schätze morgen wird es besser sein“, stellte Velted fest. Der Mann nickte.

Am nächsten Tag wachten die drei ungefähr zeitgleich auf – um drei Uhr Nachmittags. Sie packten genügend Proviant und zwei Kanister Milchgas in Rucksäcke und stellten sich nebeneinander, ausgerüstet mit Atmungshelmen und Anzügen, um das klaffende Loch im Boden. Ein Meter unter ihnen war die Höhle, in der sie nur den Schalter umlegen mussten und sie würden in die Freiheit schweben. „Okay, wer geht zuerst?“, fragte Retep zaghaft und wieder völlig nüchtern. Velted meldete sich. Er ging einen Schritt vorwärts und sprang runter. Als er aufkam, ging ihm das Loch gerade mal bis zur Hüfte. „Na dann wurschtel dich mal durch“, scherzte Retep. Velted bückte sich, und stieß mit dem Kopf leicht an der Kante an. Retep lachte kurz. „Willst du es machen, oder ich?“, fragte Velted sauer. Retep schwieg augenblicklich. Retep und der Mann beobachteten Velted dabei, wie er sich langsam unter ihnen ausstrecken konnte. Er begann sich vorsichtig robbend vorwärts zu bewegen.
Retep und der Mann sahen mit an, wie eine dürre Hand aus dem Dunkel geschossen kam und mit einer Spritze Velted mit einer grünen Flüssigkeit infizierte. Der Mann sprang Velted nach, riss ihm die Spritze aus dem Rücken und griff nach Ottos Hand. Retep stand über dem Gewusel der drei Männer und wusste nicht so recht, was er machen sollte. Der Mann kniete sich auf den Fiedler und holte etwas hervor. Es hatte die Form eines kleinen Kastens, ein langes Kabel, das sich in der Mitte teilte, an jedem Ende einen Knopf und es war sehr, sehr alt: ein Walkman. Es dauerte keine drei Sekunden, und schon bekam der Fiedler Geigenmusik auf seine Ohren. Er warf Otto beiseite und ab da waren alle Beteiligten aus Reteps Sichtfeld verschwunden.
Der Mann kroch mit dem bewusstlosen Velted unterm Arm in den für Retep aus der Halluzination wohlbekannten Bereich der Höhle, der durch den Schacht mit der Mondoberfläche verbunden war. Retep schwebte nun den beiden hinterher, vorbei an dem summenden Otto, der vergnügt in der Ecke lag – solange die Batterien nicht leer gingen.

Zur selben Zeit befand Velted sich psychisch völlig woanders. Er stand allein in der Höhle. Niemand war zu hören, oder zu sehen. Er hatte nicht genug Gift abbekommen, um zu glauben, das was um ihn herum passiere sei real. Also erschrak er nicht, als der Fiedler auf ihn zusprang – geigenspielend. Er wich gekonnt dem ersten Schlag aus. „Junge, du bist nicht echt, also hau ab!“ Dem zweiten Schlag konnte er nicht ausweichen, er bekam die Faust direkt seitlich an seinem Kopf zu spüren und fiel auf den Boden. Es fühlte sich echt an. Wenn er nicht komplett virtuell erschlagen werden wollte, musste er sich also doch wehren – zumindest solange, bis er aufwachen würde. Er strampelte ein wenig unkoordiniert und zog sich an einem Felsen hoch. Velted grinste bei dem Gedanken, alles machen zu können, schließlich war es seine Halluzination. Sein Blick fiel auf einen im Durchmesser circa ein einhalb Meter großen Stein. Der Brocken löste sich von seinem Platz, von dem ihn nur ein Hochleistungssportler hätte nehmen können, schleuderte durch die Luft und warf den Fiedler zu Boden. Velted lachte. Als er auf Otto zugehen wollte, war dieser plötzlich verschwunden. Irritiert sah er sich um. Wie aus dem Nichts stand Otto hinter ihm. Velted drehte sich blitzartig um, wollte zuschlagen, doch der Fiedler kam ihm zuvor und warf Velted vier Meter durch den ‚Raum’. Velted fiel in diesem Moment einfach nichts Besseres ein, als sich vorzustellen, die ganze Höhle würde zusammenbrechen. So würde er sich beim Aufprall gegen die Wand nicht allzu sehr verletzen. Er flog vorbei an den Brocken der zusammenstürzenden Felsen, einer jedoch schlug ihm in den Rücken. Velted schwebte außerhalb der Höhle im Freien, und sah dabei zu, wie ein riesiges Monster von Gestein in sich zusammenbrach. „Was für ein Schwachsinn!“, stellte Velted fest. Die Höhle war in der Halluzination ein Berg und gar kein Loch, was Velted nicht wirklich gefiel, er mochte Dinge gerne so, wie sie auch wirklich waren. Was Velted jedoch noch mehr nervte, war die ständige Anwesenheit des Fiedlers, der schon wieder hinter ihm auftauchte. Keiner von ihnen schlug zu. Der Fiedler brüllte wie ein Tier und Velted legte den Zeigefinger auf die Lippen. Beide lauschten nach einem Geräusch. Es war eindeutig das Galoppieren von Pferdehufen – von sehr vielen Pferdehufen. Als Velted kurz nach oben sah, befanden er und der Fiedler sich auf einer Wiese. Sie standen in einem Tal, oder vielmehr einer riesigen Schüssel aus Gras. Das Galoppieren wurde laute – hätten sie gesprochen, hätte man es nicht verstanden. Erst als Velted erkannte, dass es keine Pferde waren, die da ins Tal direkt auf sie zu gerannt kamen, sondern Sofas, musste er die totale Absurdität des Traumes feststellen. Die Sofas kamen von allen Himmelsrichtungen, die Velted vertraut waren auf ihn und den Fiedler zugerannt. Der Himmel verdunkelte sich und Blitze erhellten die Landschaft. Ein unglaubliches Donnern jagte durch das Tal. Wolkenberge, wie sie noch niemand gesehen hatte türmten sich auf und wurden von den Blitzen förmlich zerschossen und zerfetzt. Der Regen, der entstand knallte unaufhörlich auf Velted herab und einzelne Tropfen waren so stark, dass sie fast schon wehtaten. In der nächsten Sekunde war es augenblicklich Nacht und durch manche Wolken konnte man einen grünen Mond hindurchsehen. Der Regen wurde stärker. Velted sah auf seine Schuhe. Sie waren total verdreckt. Der Rasen wurde matschig und Teile des Schlamms sammelten sich in riesigen Pfützen. Kleine Tümpel bildeten sich – Velted und Otto wichen einige Schritte vorm Wasser zurück. Ein paar der Sofas rutschten aus, stolperten und wurden vom Rest der Herde überrannt. Einige von ihnen schienen sich Verletzungen wie Brüche zugezogen zu haben. Velteds Klamotten hatten sich mit Wasser vollgesogen und hingen schwer wie Bleiwesten an ihm. Sein Blick fiel auf den Fiedler, dem es anscheinend nicht anders ging. Die wildgewordenen Möbelstücke waren noch einige hundert Meter von ihnen entfernt. Im Tal bildete sich ein See, dem Velted und Otto bis zum Knöchel ragte. Die ersten Sofas erreichten das Wasser. Es stand ihnen nun bis zum Knie. Die Sofas wirbelten mit ihren ‚Beinen’ das Regenwasser auf – es spritzte, als würde es durch eine Büffelherde in Bewegung gesetzt werden. Als das Wasser Velted bis zur Hüfte ragte, wurde er nervös. Er hatte nicht vor, zu erfahren, wie sich ertrinken anfühlt – egal, ob echt oder nicht. Einige Sofas waren schon auf Höhe der beiden. Ihre Fortbewegungsart war nun eine Mischung aus Schwimmen und Rennen. Velted sah die Sofas nicht in seiner Nähe, bis er und Otto schließlich von einem umgerannt wurden. Der Regen wurde stärker und das Tal füllte sich vollständig mit Wasser. Es lief über und Milliarden Liter Wasser schwappten über ein Gebirge von unvorstellbarer Größe. Ein gigantisches Meer hatte die Landschaft überflutet. Velted fand sich mit dem Bauch auf einem Sofa liegend wieder, das wie ein winziges Bot vom Sturm davongetragen wurde. Das letzte was er sah, war eine Welle frontal auf ihn zujagend.

Nachwort des Autors: Irgendwie faszinieren mich diese Sofas. Aber keine Angst, sie werden nicht noch einmal vorkommen (zumindest ist nichts geplant).

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13. August 2011 by eckgefluester
 
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